Di, 30.5.2023 – Medellin

Von Guatapé in Medellín angekommen, fahren wir erstmal ins Hotel, wo wir tatsächlich einen gratis Parkplatz in der Tiefgarage erhalten, später einen Gin-Tonic als Welcome-Drink und Frühstück auf der Dachterrasse – Preis pro Nacht/Zimmer 15 Fr.

Früchte und Avocado Stände auch in der 2. grössten Stadt Kolumbiens.

Wir machen uns mit ÖV auf den Weg. Es hat eine Metro, die im Stadtzentrum oberirdisch fährt. Sehr modern – die einzige Cummuter-Rail in Kolumbien – errichtet 1995. Auch als wir danach den Bus fanden, waren wir begeistert. Sehr geordnet und eigentlich ist an der Haltestelle (also am Pfosten) alles angeschrieben. Eine Metrofahrt ist etwa 50 Rp. Die Busfahrt 35 Rp. Und schon sind wir in der Comuna 13 angekommen.

Ich muss geschichtlich etwas ausholen… Medellín galt bis vor wenigen Jahren als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Und dieses Quartier 13 verkörperte den hiesigen Krieg. Die Mordrate soll zwischen 1980-1991 die höchste der Welt gewesen sein. 400 auf 100’000 Einwohner. Für Kinder war es an der Tagesordnung, auf dem Schulweg über Leichen zu steigen. Leichen lagen einfach überall rum. Die Comuna 13 war ein Kriegsgebiet, in das sich schon bald nicht mal mehr die Polizei traute.

Medellín ist von Bergen umgegeben. Im Westen der Stadt schmiegt sich die Comuna 13 an die steilen Berghänge. Alles ist dichtbebaut und die Comuna 13 gilt als eine der am dichtesten besiedelten Stadtteile.

Durch ihre Lage war die Comuna 13 seit jeher wichtiger Dreh- und Angelpunkt. Egal was geschmuggelt werden musste, es kam über die Comuna 13. Durch den Zugang zu der Hauptroute, die zu den Häfen im Pazifik führt, war die Comuna 13 Gold wert – egal ob für den Drogen- oder Waffenhandel. Es scheint also nicht verwunderlich, dass das Viertel beliebt war unter den Drogenkartellen und co.

In den 80er Jahren herrschte der Drogenbaron Pablo Escobar über Medellín und insbesondere über die Comuna 13. Aufgrund der Beliebtheit des Viertels, herrschte ein ständiger Kampf zwischen den Drogenkartellen um die Vorherrschaft. Was zu Morden, Entführungen, Korruption und allgemeiner Gewalt führte. Die Zivilisten der Comuna 13 waren angsterfüllt, eingeschüchtert und trauten sich kaum auf die Strasse. Die hohe Arbeitslosenquote machte es den Kartellen einfach junge Männer für das dreckige Geschäft anzuwerben. Sie arbeiteten dann als Drogendealer, Spitzel oder sogar Auftragskiller. Escobar zahlte Kopfgeldprämien für ermoderte Polizisten, Richter und Staatsanwälte. Die Comuna 13 rutschte sozial immer weiter ab und an ein normales Leben war nicht zu denken.

Aus dieser Zeit stammt auch Medellín’s Ruf der Schönheitsoperationen: in armen Vierteln war ein üppiger Busen die einzige Karrieremöglichkeit für Mädchen, sich einen reichen Drogenboss zu angeln.

Nach Escobars Tod 1993 eskalierte die eh schon schreckliche Situation weiter. Die Guerilla, Paramillitärs und die Farc umkämpften das Gebiet extrem. Bis 2002 war die Guerilla dann in dem Stadtviertel präsent – das letzte Stadtviertel in ganz Kolumbien, welches noch von der Guerilla kontrolliert wurde.

2016 wurde dann der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und den damalige FARC-Guerilla unterzeichnet, um ihren jahrzehntealten bewaffneten Konflikt zu beenden. Ein historischer Schritt auf dem langen und schwierigen Weg zu dauerhaftem Frieden.

Die Comuna 13 hat sich verändert und ist von einem der gefährlichsten Viertel zu einem Viertel im Aufschwung geworden.

Das Viertel und Medellín sind für viele Städte zu einem Vorbild geworden und darauf sind sie stolz.

Die kolumbianische Regierung hat investiert und verschiedenste Förderprogramme tragen nach und nach zur Resozialisierung des Stadtteils bei.

Ein wichtiger Meilenstein, der international von vielen Medien gefeiert wurde, sind die Freiluftrolltreppen. Die Comuna 13 hat den Zuschlag für dieses Sozialprojekt bekommen und seit 2011 sind die Rolltreppen fester Bestandteil des Stadtviertels. Sie schlängeln sich weit nach oben in das Viertel und sind perfekt integriert. Die sechs Rolltreppenabschnitte erleichtern vor allem den Älteren Bewohnern den Zugang zu ihren Häusern, die fast alle am steilen Hang gebaut sind.

Die Communa 13 ist bunt geworden. Unendlich viele Graffiti erzählen ihre eigenen Geschichten – die Art der Anwohner die grausame Geschichte zu verarbeiten.

Wir schlendern über die betonierte 3 m breite Rampe an unendlich vielen kleinen Shops und Bars vorbei. Es wird gemalt, getanzt und gesungen. Oben und unten, dicht an dicht kleinste Wohnhäuser. Es herrscht eine ausgelassene und fröhliche Stimmung. Die Menschen haben hier endlich die Möglichkeit auf ein freies Leben.

Auf dem Weg zurück nach unten, hängen wir uns einer Motorrad-Gruppe aus Miami an. So gelangen wir über weniger touristische schmale Treppen an ganz einfachen Wohnungen. Jedoch ist alles sauber und die Anwohner grüssen uns fröhlich. Dass Touris durch ihr Gebiet spazieren, scheint sie nicht zu stören, denn auf gewisse Weise garantiert ihnen dies mehr Sicherheit.

Wir fahren mit dem Bus zurück zur Metrostation. Lustig, was auf alten Autos transportiert wird… In einer Hand versuchen sie den schweren Eisenträger vom Auto zu hieven, in der Anderen halten sie ein Calypso-ähnliches Glace…

Bei der Metro San Javier gibt es eine weitere Attraktion. Die Seilbahn bringt die höher oder weiter weg gelegenen Quartiere näher zur Gesellschaft. Die Aussicht über die Stadt ist gewaltig: all die ziegelstein-Häuser sehen von oben so hübsch aus!

Wir fahren über 3 Zwischenstationen. Nicht überall sind die Häuser hübsch. Es gibt auch einen Hügel dazwischen, wo die Seilbahn nicht hält. Hier sind es einfache Bretterverschläge…

An der Endstation bleiben wir einfach sitzen und fahren wieder zurück. Hier wird jede Gondel von einer Frau kurz geputzt. Dies scheint ein besserer Vorort zu sein – es hat „modernere“ Hochhäuser und mehr grün.

Erst als wir zur Metro umsteigen merken wir, dass wir für die gesamte Fahrt nur eine Fahrt bezahlen mussten – inkl Metrofahrt. Wir hatten viel zu viel auf unsere Metro-Karte aufgeladen:-)

Zurück im Zentrum an der San Antonio Station müssen wir auf ein Tram umsteigen. Hier muss neu bezahlt werden. Die Leute warten brav in Schlangen, bis die Türen sich öffnen.

Wir besuchen kurz das Museo Casa de la memoria. Leider ist es fast ausschliesslich in spanisch und so stöbere ich später im Internet nach der Geschichte zum Drogenkrieg und der Comuna 13. Eine Mutter erzählt in einem Film, dass ihre Tochter wie unglaublich viele andere einfach verschwunden ist. Wahrscheinlich liegt sie tot in einem Schotterhaufen, den man von der 13 aus sehen kann – dies soll ein Massengrab sein, welches bisher noch nicht ausgehoben wurde…

Ganz zufällig kommen wir auf dem Weg zurück zum Hotel bei einer Schneiderin vorbei. Genau rechtzeitig, denn Jochen’s Hose ist wieder gerissen. Die andere ist in der Wäsche: für diese müssen wir 8 Fr zahlen – was zwar unverhältnismässig ist, jedoch nach der Schwüle der Karibikküste unverzichtbar war. Das Nähen kostete 2 Fr.

Wenn ihr denkt, eine 15 Fr Unterkunft muss schrecklich sein…

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